Kennen Sie das? Sie sitzen im Bus. Ein älterer Herr will Ihnen gegenüber platznehmen. Er fragt nicht, ob Sie ihn bitte durchlassen könnten. Er drängelt sich rüde durch, während Sie versuchen, Ihre Beine aus dem Weg zu nehmen und dem älteren Herrn Platz zu machen. Mehr ist nicht wirklich drin, denn Sie sitzen schon ganz an der Rückenlehne und fürs Aufstehen ist es zu spät, da der ältere Herr sich schon durchdrängelt. Während Sie versuchen, Ihre Beine aus dem Weg zu nehmen herrscht der ältere Herr Sie schon an, warum Sie sich so breit machen müssen.
Diese Anekdote ist keine Erfindung, es geschah tatsächlich, als ich mit dem Bus unterwegs war, meine Tochter für die Fahrt zur Frankfurter Buchmesse anzuholen. Meine Reaktion auf das unwirsche Auftreten des älteren Herrn war die ebenfalls unwirsche Frage, wo ich denn seiner Meinung nach hin sollte. Inzwischen weiß ich aber, was das für ein älterer Herr war: ein Bewohner.
Habe ich Sie neugierig gemacht, was diese Begebenheit mit einem Kulturblog zu tun hat? Wissen Sie, was ein Bewohner ist? Wenn nicht: Soll ich Sie erhellen?
Ein bewohnerfreies Leben ist das erstrebenswertere Leben
Eigentlich sollte die Aufgabe Sie bezüglich der Bewohner zu erleuchten ein anderer Mann übernehmen. Sein Name ist Tobias Beck, Motivationstrainer, seines Zeichens eigentlich gar nicht so sehr ein Autor sondern ein Speaker und ein ausnehmend symphatischer Zeitgenosse. Wahrscheinlich liegt das daran, dass er weiß, wie man mit Bewohnern umgeht.
Und schon wieder dieses seltsame Wort. Also gut, ich will das Bewohnerkonzept kurz anreißen.
Herr Beck unterteilt die Menschheit grob in vier Kategorien: Bewohner, Ameisen, Diamanten und Superstars.
Bewohner sind dabei diejenigen Angehörigen der Spezies Homo sapiens, die zwar allgegewärtig sind, die man aber eigentlich gar nicht um sich haben will, sofern man nicht selbst ein Bewohner ist. Es sind diejenigen Menschen, denen der Himmel zu blau, die Sonne zu hell, die Nacht zu dunkel ist. Diejenigen, die sich über das Loch im Donut aufregen, obwohl dieses ja integraler Bestandteil des Gebäckkringels ist. Ohne das Loch wäre es kein Kringel. Außerdem hat der Teigring der Legende nach seinen Namen von eben diesem Loch. Teig heißt auf Englisch dough, „nichts“ heißt nought. Der Donut ist Teig (dough) mit nichts (nought) in der Mitte – dough nought. Und da die Menschen beim Reden faul sind, wurde daraus irgendwann der Donut.
Bewohner sind diejenigen Exeplare unserer Art, von denen Sie angemault werden, wenn Sie auf simplen physikalischen Gründen nicht in der Lage sind, mehr Platz im Bus zu machen, als vorhanden ist. Und das Schlimmste: Bewohner sind ansteckend. Es ist eben leichter, jemanden runterzuziehen als hoch. Die Schwerkraft hilft nämlich dabei.
Doch was rede ich? Dies ist wahrlich nicht mein Brevier und Tobias Beck sollte diesen Vortrag selbst übernehmen. Er kann das einfach besser. Drum bitte ich Sie, gehen Sie in den nächsten Buchladen (im Zweifel bemühen Sie den Online-Shop Ihrer Wahl) und kaufen Sie sein Buch:
UNBOX YOUR LIVE
Ratgeberliteratur? Echt jetzt?
Ich bin wahrlich niemand, der mit Genuss irgendwelche Lebensratgeber liest. Ich würde diesen ohnehin nicht folgen, denn ich glaube, meinen eigenen, persönlichen Weg zu haben. Wie soll mir ein Wildfremder sagen können, wie mein Weg auszusehen hat, wenn er mich gar nicht kennt?
Die meisten dieser Ratgeber scheinen auch nach dem Muster „Tu dies, tu das, tu jenes und du hast Erfolg, Erfolg, Erfolg…“ gestrickt zu sein. Glaubt man diesen Ratgebern, müsste eigentlich mindestens die Hälfte der Menschheit reich sein. Reich im materiellen Sinne.
Wie oft sagte man mir schon, ich müsse doch mal ein Buch schreiben, meine Texte auf Papier und für Geld verbreiten? Meine Antwort war stets nein. Vielleicht erscheint dieses Nein irrational, vielleicht müsste ich schon nicht mehr täglich ins Büro, wenn ich ein Buch veröffentlicht hätte. Aber das ist gar nicht mein Weg. Tobias Beck hat mich diesbezüglich verstanden.
Wenn ich schreibe, schreibe ich um des Schreibens Willen, nicht um materielle Güter. Und würde ich meinen Bürojob wirklich aufgeben wollen? Ja, manchmal denke ich darüber nach, wie das wohl wäre. Ich habe auch oft das Gefühl, nichts wirklich geschaffen zu haben. Aber dann geschieht etwas, das mir zeigt, warum ich meine Arbeit mache, das mir vor Augen führt, dass ich Anteil an etwas hatte.
Tobias Beck erzählt in diesem Zusammenhang von einer Veranstaltung bei einem Automobilzulieferer. Die Mitarbeiter waren desillusioniert, bis sie mit einem Sportwagen über die Autobahn heizten. Dann wussten sie, sie haben Anteil an affengeilen Sportwagen.
Solches Geschichten sind dann auch das Geheimnis des Buches. Kein dicker Wälzer, der über kosmische Energien referiert. Kein esoterischer Schnickschnack. Keine hohe Psychologie, kein Fachchinesisch.
Tobias Beck ist eigentlich ein Speaker, ein Redner. In genau diesem Tonfall ist das Buch geschrieben. Verschließe ich beim Lesen von „Unbox Your Life“ die Augen für die Umgebung, fühlt es sich an, als würde ich kein Buch lesen sondern Tobias auf der Bühne vor mir sehen und hören. Er erzählt aus seinem Leben, erklärt kurz, was wissenschaftlich gesehen dahinter steckt, abstrahiert auf witzige Weise die Anekdote auf die Wirklichkeit.
Dabei beschränkt er sich auf das Wesentliche. Seine Botschaft ist klar und einfach formuliert und braucht eben mal 137 Seiten – inklusive der Danksagung.
Am Ende präsentierte sich mir ein Ratgeber, der ganz fix gelesen war. Ein Ratgeber, dem ich wieder nicht in allen Details folgen werden, der mir aber vieles in dieser Welt erklärt. Ich verstehe jetzt sogar die Autofahrer, die nach zwei Sekunden Grünphase an der Ampel hupen, wenn man mal den Gang nicht schnell genug eingelegt bekommt. Es sind eben Bewohner. Und es gibt nur einen Weg, mit Bewohnern umzugehen: Meiden Sie sie!
Und wenn sich die Begegnung mit einem Bewohner nicht vermeiden lässt, kürzen Sie sie ab. Tobias Beck hat dafür einen wundervollen Satz: „Für dieses Gespräch stehe ich nicht zur Verfügung.“
Ich denke natürlich nicht im Traum daran, Tobias seine Catchphrase wegzunehmen. Das wäre gemein, sowas macht man nicht. Aber wenn sich das nächste Mal jemand aufregt, weil ich nicht mehr Platz machen, als ich machen kann, antworte ich vielleicht: „Um die Materie meines Körpers so weit aufzulösen und in einen Zustand zu bringen, der es mir erlaubt, mich durch die Rückenlehne meines Sitzes hindurchzubewegen, wäre eine Energie von 6,3 Billiarden Exajoule nötig. Diese Energiemenge kann ich leider nicht aufbringen und sie mit den uns bekannten Mitteln herzustellen würde vermutlich nicht nur unsere Umwelt nachhaltig beeinflussen sondern sämtiches Leben auf der Erde einschließlich des menschlichen ausmerzen. Da ich hierzu nicht bereit und in der Lage bin, kann ich nur so viel Platz schaffen, wie Newtonsche Mechanik, Verdrängungs- und Wechselwirkungsgesetz hergeben.“
Ja, manchmal bin ich linkshirnlastig. Aber das ist gar nicht so schlimm, denn so bemerke ich die fehlende Logik darin, mich über alles (besonders über Bewohner) aufzuregen.
Und wenn man sich erfolgreich von Bewohnern absetzt, vielleicht die eine oder andere Idee des Buches beherzigt, glaube ich tatsächlich, dass man ein Diamant werden kann, wenn nicht sogar ein Superstar. Aber dazu muss man natürlich zuerst mit sich selbst im Reinen sein. Ein Anfang hierfür ist übrigens meiner Erfahrung nach nicht schwer. Lächeln Sie einfach mal. Schenken Sie irgendjemandem ein Lächeln. Gerne auch Ihnen selbst. Wenn das Universum wirklich auf Resonanzen aufbaut, werden Sie die Folgen dieses Lächelns schnell bemerken.
Warum Tobias Beck allerdings das Wort Bewohner wählte, erklärt das Buch nicht. Aber ist das eigentlich wichtig? Nein. Wichtig ist, dass man weiß was Bewohner sind und dass man ihnen möglichst keine Plattform geben sollte.
Ich wusste das instinktiv schon immer. Dank Tobias Beck weiß ich aber auch warum.
Ach und… Tobi (ich darf Dich doch Tobi nennen?), ich habe noch etwas für Dich. Ein kleiner Trost dafür, dass das mit dem Möwenfoto auf der Kreuzfahrt nicht geklappt hat:
Stil: | (4,6 / 5) |
Lesespaß: | (4,9 / 5) |
Lebensverbesserung: | (5,0 / 5) |
Durchschnitt: | (4,8 / 5) |
Tatsache ist es so, dass er seine Begriffwahl glaube in den Hörbüchern erklärt. Da gibt es ein paar von ihm, so weit ich weiß.
Liebe Grüße
Dein Töchterchen