King Lear

Als ich noch zur Schule ging, waren die alten Dramen eine Qual. Egal ob Goethe, Schiller oder Lessing – niemand wollte sie lesen. Aber vielleicht lag es nur daran, dass wir diese Bücher lesen mussten und dass sie in einer Sprache geschrieben waren, die unseren Ohren fremd klang. Und vielleicht wäre es auch einfacher für uns gewesen, MacBeth auf der Bühne zu sehen.

Inzwischen ist es anders. Inzwischen habe ich eine kleine Leidenschaft für die alten Texte. Als mir dann zu Ohren kam, dass im Kino eine Live-Übertragung des „König Lear“ aus London laufen solle, konnte ich nicht widerstehen. Ich musste hin.

 

Das Stück in Kürze:

Lear, König Britanniens, ist alt und will sich zurückziehen. Sein Reich soll unter seinen drei Töchtern aufgeteilt werden. Als die Töchter erklären sollen, wie sehr sie ihren Vater lieben, versagt die Jüngste dies dem König und wird enterbt.

Der alte König bedingt sich aus, mit seinem Gefolge von 100 Rittern abwechselnd bei seine Töchtern zu wohnen – die jüngste ausgenommen, da sie ja nicht erbt. Die älteren Schwestern halten nicht viel davon, die eine schiebt ihren Vater zur anderen ab, die andere will ihn angestachelt von der ersten Tochter auch nicht aufnehmen. Intrigen werden gesponnen, ein Bastardsohn versucht sich des legitimen Bruders zu entledigen, die jüngste Tochter landet mit einem französischen Heer in Britannien, Mord, Todschlag, versuchter Regizid und am Ende stirbt nicht nur der alte König sondern die ganze Familie.

Eine Tragödie also, wie sie für Shakespeare beinahe typisch ist. Ob MacBeth, Hamlet, Romeo und Julia – das Happy End scheint Williams Lieblingsende zu sein. Vielleicht macht auch gerade das den Reiz seiner Tragödien aus, unterscheiden sie sich doch in diesem Punkt von dem, was Hollywood uns schenkt.

 

Die Bühne

Es ist wahrhaft erstaunlich, welche Wirkung man mit den einfachsten Mitteln erreichen kann.

Eine Theaterbühne ist naturgemäß in ihren Möglichkeiten begrenzt. Man kann keine weiten Steppenlandschaften in ein Theater zaubern, um riesige Heere über sie reiten zu lassen. Man muss mit dem Platz auskommen, der da ist. Und eben dies schaffte die Inszenierung auf hervorragende Weise.

Das Bühnenbild war zunächst nur ein Kreis. In diesem Kreis spielte sich nahezu alles ab, das während des Stückes geschah. Im Akkord wurden Dinge im Dunkeln auf die Bühne getragen und von ihr entfernt, Türen öffneten sich links der Bühne, rechts von ihr, dahinter, ließen Schauspieler ein und auch wieder aus. Durch den Zuschauerraum des kleinen Theaters führte ein Laufsteg, über den die royale Prozession am Beginn des Stückes einzog und über den immer wieder auch Mimen abgingen.

Kurz: Mit minimalen (um nicht zu sagen minimalistischen) Mitteln wurden glaubhaft Paläste, Schuppen und Felder geschaffen. Das eigentliche Bühnenbild waren Requisiten, keine pompösen und doch wirkungsarmen Zimmermannsarbeiten.

 

Die Kostüme

Kein großartiges Schauspiel, kein Bühnenbild, keine noch so gute Regie hilft, wenn die Akteure in Bettlaken gekleidet sind. Leider scheinen moderne Theaterinszenierungen aber oft gerade daran zu kranken. Der Eindruck ist sehr subjektiv und mag trügen aber selbst die sonst hochgelobten Wagner Festspiele in Bayreuth gerieten schon wegen allzu moderner Inszenierung in die Kritik.

„King Lear“ ging hier einen eigenen Weg. Einerseits trugen die hohen Adligen zunächst klassische Kostüme aus… Ich würde sagen Mitte des 19. Jahrhunderts. Später wechselte des Königs Kleidung ins Modernere, Soldaten trugen Uniformen aus dem 21. Jahrhundert. Es erscheint etwas schräg. Dennoch funktionierte es. Die Kostüme waren modern aber passend.

 

Das Schauspiel

Dass die modernen Kostüme im klassischen Stoff funktionierten liegt vielleicht auch daran, dass die Figuren des Stücks zeitlos dargestellt wurden.

Man kann „King Lear“ als ein Stück sehen, das von einem König handelt, der von den Ungerechtigkeiten seiner Töchter seinen Verstand verliert. Man kann ihn auch als einen Mann betrachten, der alt ist, 80 Jahre („four score years“) auf dieser Welt weilt und letztlich allmählich unter Demenz leidet.

Eigentlich behandelte Shakespeare also ein Thema, das heute genauso aktuell ist wie damals. Bringt man diesen Umstand an das Tageslicht, könnte der König in Jeans auftreten. Und genau das gelang dem Hauptdarsteller.

Neben dem Autor des Stückes war dann auch der Hauptdarsteller ein Grund, das Schauspiel zu sehen: Sir Ian McKellen.

Ja, es ist derselben Ian McKellen, den wir alle als Gandalf und als Magneto kennen. McKellen war übrigens der bessere Magneto, der intensiver dargestellte. In meinen Augen. Es ist auch derselbe Ian McKellen, der 2015 ganz leise den 90jährigen Mr. Holmes spielte, der unter demselben Problem leidet wie der alte Lear.

Vielleicht wirkte der alte Lear deshalb so glaubhaft, weil McKellen beinahe genauso alt ist wie die Figur. Wann immer das Gesicht des alten Königs zu sehen war, sah man einen Mann, der darüber verzweifelt, alt zu sein, keines klaren Gedanken mehr fähig zu sein.

Aber ein Mann allein kann ein Stück nicht tragen. Das Ensemble um McKellen herum spielte dann auch mit derselben Freude wie der Hauptdarsteller, spielte so großartig, dass ich eigentlich gar nicht von Haupt- und Nebenrollen sprechen mag.

Kurzum: Es war beeindruckend. Bis zur letzten Szene.

Schauspiel:5 out of 5 stars (5,0 / 5)
Bühnenbild:4 out of 5 stars (4,0 / 5)
Kostüme:4 out of 5 stars (4,0 / 5)
Durchschnitt:4.3 out of 5 stars (4,3 / 5)

Der beeindruckendste Moment kam aber erst nach dem Stück, nach dem Applaus für das Ensemble. Die Schauspieler hatten die Bühne verlassen, Sir Ian aber blieb stehen. Er drehte sich um, blickte ins Publikum und lächelte. Er lächelte glücklich und dieses Lächeln schien gleichsam Glückseligkeit, Dank und ein Applaus für das Publikum zu sein.

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