Armageddon Rock

Dank HBO gibt es vermutlich kaum jemanden, der den Namen George Raymond Richard Martin noch nicht gehört hat. Seit nunmehr acht Jahren flimmert „Game of Thrones“ über die Fernsehschirme und machte den Autoren über die Grenzen des Fantasy-Genres und über die Literatur hinaus berühmt. Doch es gab auch eine Zeit vor „Ein Lied von Eis und Feuer“. Seit 1987 existiert die „Wild Cards“-Reihe und bereits 4 Jahre davor veröffentlichte Martin das Buch, das wohl der Beginn einer großen Schriftstellerkarriere war: „Armageddon Rock“.

Die Geschichte beginnt…

…mit einem Mord. Zwei Morde eigentlich, der erste ist aber ein paar Jahre her. Trotzdem legt er einen Grundstein. Am 20. September 1971 wurde Pat Hobbins, der Leadsänger der Rockback Nazgûl während eines Konzertes auf der Bühne erschossen. Der Anfang vom Ende der Band.

An demselben Tag 10 Jahre später wird der Manager der Nazgûl ermordet. Er wird nicht einfach erstochen oder erschossen oder stranguliert. Nein, ihm im wörtlichen Sinne das Herz aus dem Leib gerissen. Und das ist nicht nur der Anfang der Geschichte, es ist auch der Anfang des Neuanfangs der Nazgûl.

Sandy Blair, Schriftsteller und ehemaliger Chefredakteur des wichtigsten Blattes in der Musikszene, wird von seinem ehemaligen Arbeitgeber angeheuert, über eben jenen zweiten Mord zu schreiben. Was als Chance beginnt, den Kopf frei zu bekommen und für eine Weile von Seite 37 des Buches, mit dem sich Sandy quält, wegzukommen, entpuppt sich schließlich als Roadtrip in die eigene Vergangenheit, als Trip zu alten Freunden und letztlich zu einer Art neuem Messias, der nicht nur die Nazgûl sondern gar ihren toten Sänger wiederauferstehen lässt. Und was dabei herauskommt, wenn sich die Toten erheben, lässt sich gut in der Offenbarung des Johannes nachlesen.

Ein typischer Martin

Zugegeben, ich las bisher nur das „Lied von Eis und Feuer“ und es gibt noch so viel mehr. Und doch glaube ich George R. R. Martins Handschrift deutlich wiedererkannt zu haben. So wie in Martins großem Werk springt auch hier die Geschichte von einem Ort zum Nächsten. Der Unterschied ist, dass in „Armageddon Rock“ nicht endlos viele Nebenschauplätze und Erzählstränge eröffnet werden. So sehr die dem „Lied von Eis und Feuer“ Spannung und Komplexität verleiht, so sehr vereinfacht das Fehlen derselben, die Konzentration auf einen Charakter das Lesen.

Der auktoriale Erzähler geht dabei ähnlich vor wie im „Lied von Eis und Feuer“, entführt den Leser in die Welt des Protagonisten, kleidet ihn gar in den Körper Sandy Blairs. Etwas, das Mr. Martin in seinem großen Zyklus nicht in diesem Maße gelang. Wenn es nur eine Hauptfigur gibt, ist das natürlich auch einfacher. Sander Blair ist klar der Held der Geschichte. Im „Lied von Eis und Feuer“ verschwimmen die Grenzen zwischen Gut und Böse immer wieder. Und doch ist das nicht alles. „Armageddon Rock“ ist viel deutlicher auf den Charakter fixiert, nimmt den Leser in viel stärkerem Maße mit in die Gefühlswelt und die Vergangenheit der Figur.

Martin benutzt hierbei einen interessanten Trick. Er ergeht sich nicht in einfachen Rückblende sondern holt die Vergangenheit in die Gegenwart, lässt sie als Träume und Visionen noch einmal ablaufen. Jedenfalls soweit sie Mr. Blair selbst betreffen. Und Mr. Blair hat einiges aufzuarbeiten. Die Geschichte ist eine Reise des Helden zu sich selbst. Ein Roadtrip durch das Gestern, vorbei an alten Freunden, an der alten Musik, an traumatischen Augenblicken voller Gewalt. Und nichts davon trägt zur eigentlichen Geschichte bei. Und dann wieder tut es das doch, denn während die Story letztlich auf ihren Höhepunkt und das Armageddon zusteuert, holt die Vergangenheit den Leser wie auch den Protagonisten wieder ein, spricht zu ihm und bringt ihn schließlich dazu, zu tun was er tun muss. Es gilt schließlich den Untergang der Welt zu verhindern.

Bei all dem hat die Geschichte aber auch ihre Schwächen. Kleine Schwächen nur, doch auch diese Schwächen machen „Armageddon Rock“ zu einem typischen Martin.

Der Autor schafft es meisterlich, einen Gegenspieler aufzubauen. Er führt ihn relativ spät ein, wirft am Anfang nur einen Namen in die Runde, lässt ihn aber dann, nachdem der „Messias“ erst einmal in Blairs Leben trat, den Verlauf der Geschichte meisterhaft dämonisch steuern. Trotz allem war der unvermeidliche Plot-Twist vorhersehbar – nicht nur dass er kommen muss, auch wie sich die Story um 180 Grad dreht. Die Überraschung erlebt nur die Hauptfigur, nicht der Leser. Andererseits weiß selbst Sandy Blair irgendwie bescheid. Ich hatte die Vorahnung nur ein kleines bisschen früher, was womöglich am Abstand des Lesenden zur Geschichte liegt, durch den man die Dinge etwas rationaler betrachten kann. Vielleicht liegt es auch daran, dass so viele Geschichte nach einem ähnlichen Schema ablaufen. Diese Art von Wendungen sind spätestens seit den 1990er Jahren eine Mode.

Die andere kleine Schwäche ist die Tour durch das Land, die auf den ersten Blick nicht viel zur Geschichte beiträgt. Sandy recherchiert in der Sache des ermordeten Bandmanagers und besucht dabei eine alte Freundin nach dem anderen alten Freund. Am Ende tauchen all diese Menschen auf etwas esoterische Weise wieder auf und erst dann offenbart sich der Zweck der Reise. Leider sind zu diesem Zeitpunkt schon 2/3 der Geschichte vorbei und der eigentliche Höhepunkt ist stark gerafft. Ein Verhältnis von 50/50 hätte der Geschichte in meinen Augen gut getan. Die Hälfte vorbereitender Roadtrip, die zweite Hälfte um den Höhepunkt auszuformulieren, ein langsam ansteigendes Crescendo zu komponieren.

Zwei kleine Schwächen in einem ansonsten großartigen Buch. Zwei kleine Schwächen, die einer Empfehlung in keiner Weise entgegen stehen

Das Schwierige an der Geschichte…

…ist sie einzuordnen. Vielleicht sollte man nicht zu sehr über Genres nachdenken, denn wenn man es tut, kann man auch bei „Armageddon Rock“ nicht mehr sagen, wo das Buch eigentlich hingehört.

Einerseits ist da Sandy Blairs Selbstfindungsreise. Alte Freunde haben sich verändert, trotzdem lebt die Vergangenheit für einen kurzen Augenblick wieder auf. Selbst Sandy dürfte aber wissen, dass diese Augenblick nur Erinnerungen sind. Das Vergangene ist verloren. Vor diesem Hintergrund kann man von einem Drama sprechen, das seinen Höhepunkt findet, als der inzwischen als unzurechnungsfähig geltende Slum ins Spiel kommt.

Andererseits gibt unbestreitbar etwas wie Magie. Ist es also Fantasy? Urban Fantasy vielleicht? Vielleicht. Das letzte Drittel der Geschichte vielleicht. Vielleicht passt es auch eher in das Horrorgenre. Die sehr lebendig beschriebene Drohung des Untergangs der Welt lässt einem einen dezenten Schauer über den Rücken laufen.

Rückblickend bleiben wohl zwei Möglichkeiten, „Armageddon Rock“ zu kategorisieren: entweder als „Horror-urban-Fantasy-Drama“ oder einfach als das was es ist, als Buch.

Ich glaube, Buch ist die passendste Kategorisierung. Um ein Buch handelt es sich unbestreitbar. Alle anderen Genres erscheinen nur wie bürgerliche Kategorien bourgeoiser Kleingeister, die alles und jeden einordnen müssen, die sich nicht auf das simple und zwanglose Vergnügen einfachen Lesens einlassen können. „Armageddon Rock“ ist mehr als ein Genre. Es enthält, wenngleich die Story zunächst oberflächlich dahinzuplätschern scheint, auf den zweiten Blick eine tiefgehend dramatische Betrachtung der Vergangenheit, es enthält Persönlichkeit, es enthält einen angenehmen Grusel.

Und genau diese für mich schwer definierbare Mischung macht aus „Armageddon Rock“ eine Empfehlung nicht nur an Fans sondern an alle, die gerne lesen. Und an alle, die an die Macht der Musik glauben.

Story:4 out of 5 stars (4,0 / 5)
Stil:4.5 out of 5 stars (4,5 / 5)
Spaß:4.2 out of 5 stars (4,2 / 5)
Durchschnitt:4.2 out of 5 stars (4,2 / 5)
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