Anansi Boys

Manchmal kennt man einen Autoren, man weiß, dass er hinter diesem Film oder jener Serie steckt, Comicautor ist und hat schon ein Buch von ihm gelesen. Manchmal führt dann ein Buch zum nächsten.

In meinem Fall ist einer dieser Autoren Neil Gaiman. Nachdem ich vor ein paar Jahren „Ein gutes Omen“ las, nachdem ich „American Gods“ erst sah und dann las, erfuhr ich, dass Mr. Nancy – der schelmische Betrüger Anansi – zwei Söhne hat: die Anansi Boys.

Die Geschichte in Kürze

„Anansi Boys“, um dies vorweg zu nehmen, ist keine Fortsetzung zu „American Gods“, auch wenn beide Bücher eine Gemeinsamkeit haben: Anansi die Spinne, auch als Mr. Nancy bekannt

Im Gegensatz zum Mr. Nancy in „American Gods“ ist dieser Mr. Nancy früher verheiratet gewesen und hat einen Sohn, Charles Nancy, genannt Fat Charlie.

Charles ist ein durchschnittlicher Mensch, Buchhalter in einer Londoner Künstleragentur, verlobt, ohne wirkliches Liebesleben. Seine Schwiegermutter in spé ist ein Drachen, sein Boss ein schmieriges Wiesel. Und dann stirbt sein Vater.

Bis dahin war Charles‘ Leben mehr oder weniger in Ordnung. Bei der Beerdigung seines Vaters aber erfährt er, dass er einen Bruder hat. Als dieser Bruder schließlich in Fat Charlies durchschnittliches Leben tritt, ist nichts mehr durchschnittlich, denn Spider Nancy scheint sehr nach seinem Vater zu kommen.

Und wie liest es sich?

In Anbetracht der gemeinsamen Figur drängt sich der Vergleich mit „American Gods“ förmlich auf. Allerdings ist dieser Vergleich ähnlich einem Vergleich zwischen „Beverly Hills Cop“ und „Das Schweigen der Lämmer“. Beide Filme sind Krimis und handeln von einem Mörder. Das ist aber auch alles.

Bei den amerikanischen Göttern und den Anansi-Jungen ist es ähnlich. Ist das ältere Werk ernsten Tones – abgesehen von einigen wenigen Momenten, Anansimomente im Regelfall – ist „Anansi Boys“ von Humor geprägt. Es ist nicht die Art Humor, bei der ich alle paar Minuten laut lachend auf dem Boden liege. Es ist ein leiser Humor, die Art Humor, bei der man lächelt, gelegentlich breit grinst und im Inneren kichert. Man kann das Buch also guten Gewissens im Zug lesen.

An manchen Stellen erinnerte mich die Geschichte sogar an die Absurditäten Terry Pratchetts. So erinnerten mich zum Beispiel die vier älteren Damen aus Florida, die Fat Charlie auf magische Weise halfen, an den scheibenweltlichen Hexenzirkel um Oma Wetterwachs.

Das besondere an Neil Gaimans Erzählung ist aber die bildhafte Sprache. Mr. Gaiman ließ nicht nur Orte vor meinem inneren Auge entstehen, zeigte mir nicht nur die grauen Wolken am Londoner Himmel und Vogelschwärme, wie sie Hitchcock nicht besser hätte inszenieren können, er lässt vor allem den Charakter der einzelnen Figuren visuell erscheinen.

Spider Nancy ist eine Spinne. Das sagt schon der Name. Sein Bruder Fat Charlie scheint zunächst genau das Gegenteil zu sein, entwickelt sich aber allmählich genau dorthin. Gleichzeitig repräsentieren die Brüder die zwei Seiten des archetypischen Tricksters, listenreich und clever auf der einen Seite, eher tölpelhaft auf der anderen. Natürlich hat diese Gegensätzlichkeit einen Grund, der am Ende auch aufgelöst wird. Und auch hier benutzt Neil Gaiman ein interessantes Bildnis: einen Seestern. Aber pssst! Mehr zu verraten wäre womöglich ein Spoiler.

Fat Charlies Boss Graham Coats hingegen ist ein verschlagenes Wiesel. Egal an welcher Stelle er im Buch auftaucht, das Wiesel ist deutlich zu erkennen. Ich spürte seine kleinen Augen auf mir. Ich sah, wie die Falschheit aus seinen Worten tropfte. Ich wollte Fat Charlie einen Klapps auf den Hinterkopf geben und ihm sagen, dass man sein Passwort nicht weitergibt, schon gar nicht an jemanden wie seinen Boss. Nur einmal wähnte ich Tiger, Anansis Erzfeind, in ihm. Aber nein, dazu fehlt ihm die Größe. Ein Tiger tötet offen. Graham Coats wagt dies nicht, er tötet verschlagen, heimlich, hinterlistig. Er ist ein Wiesel.

Was muss ich beim Lesen beachten?

Ich erwähnte schon, dass es Parallelen zu den „American Gods“ gibt. Nun, eine Parallele. Behalten Sie dies im Hinterkopf und dann vergessen Sie das andere Buch. Einzig Mr. Nancys Sinn für Humor und der Umstand, dass er die Personifikation des afrikanischen Gottes Anansi ist, verbindet beide Bücher. Versuchen Sie nicht, einen Zusammenhang zwischen den beiden Büchern zu finden, denn es gibt keinen

Wenn es Ihnen nicht gelingt, „American Gods“ auszublenden, ist das kein Beinbruch. Sie werden schnell bemerken, dass die Anansi Boys für sich selbst stehen. Letztlich gehören aber alle Geschichte Anansi, sind alle Geschichten Anansi-Geschichten.

Anansi wiederum ist ein Schelm und so liest sich die Geschichte. So sollte man die Geschichte lesen – mit viel Spaß. Und vergessen Sie nicht, beim Lesen zu lächeln. Genau das würde Anansi wollen.

Story:5 out of 5 stars (5,0 / 5)
Schreibstil:4 out of 5 stars (4,0 / 5)
Lesespaß:5 out of 5 stars (5,0 / 5)
Durchschnitt:4.7 out of 5 stars (4,7 / 5)
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