Niemand mag Spoiler. Manchmal aber ist es ein Spoiler, durch den man erst auf die eine oder andere Perle der Literatur aufmerksam wird. Tatsächlich war es ein Spoiler – ein wirklich kleiner Spoiler nur – der mich dazu brachte ein Kleinod der Science Fiction zu lesen: Kameron Hurleys „The Light Brigade“.
Die Geschichte
In einer unbekannten, dystopischen Zukunft gibt es keine Nationalstaaten mehr. Großkonzerne teilen die Erde unter sich auf. Die Menschen teilen sich nicht mehr in arm und reich, es gibt klare Linien, Kasten gewissermaßen: Bürger, Bewohner und Ghouls, die Außenseiter der Gesellschaft.
Krankheiten wurden besiegt. Zumindest in der Theorie und für diejenigen, die sich Gesundheitsfürsorge leisten können, für die Privilegierten. Die Medien werden kontrolliert. Was den Konzernen nicht genehm ist, was ihren Machtanspruch gefährden könnte, erfährt niemand. Nicht über offizielle Kanäle.
Da immer mehr will, wer schon viel hat, da niemand etwas von dem hergeben will, das ihm gehört, unterhalten die Konzerne ihr eigenes Militär. Natürlich wird kein Konzern den anderen offen angreifen. So kommt gerade recht, dass die Erde angegriffen wird. Der Mond wird gesprengt. In Sao Paulo verschwinden Millionen Menschen. Der Mars greift an!
Nach dem Blink, dem geheimnisvollen Verschwinden eben jener Millionen Einwohner Sao Paulos meldet sich die junge Dietz zum Militär. Sie will in den Krieg, will eine Heldin sein, ihre Familie rächen. Und der Militärdienst verspricht gute Chancen, Bürger zu werden. Ja, Dietz ist eine junge Frau. Genau das war der Spoiler, der mich auf das Buch aufmerksam machte. Aber das bekommt man recht schnell mit. Es ist also nicht eigentlich ein Spoiler.
Die junge Dietz meldet sich also zum Militärdienst, um Freunde und Familie zu rächen und den verhassten Aliens vom Mars in den Hintern zu treten. Bis dahin kam mir die Story bekannt vor. Star Ship Troopers hat ein ähnliches Setting. Junge Menschen, die sich zum Militärdienst melden (auch weil der Dienst mit Privilegien verbunden ist), eine harte Grundausbildung absolvieren und dann gegen Außerirdische in die Schlacht ziehen.
Nur dass Dietz nicht gegen riesige Käfer kämpft. Nur dass es in dem Krieg eigentlich um etwas anderes geht.
Nur dass sich die ganze Geschichte eigentlich um etwas völlig anderes dreht.
Dietz erzählt…
The Light Brigade hat genau eine Hauptfigur: Dietz, die Erzählerin. Jede andere Person, die in der Geschichte auftaucht, egal welchen Raum sie oder er in Dietz‘ Leben einnimmt, ist nicht mehr als ein Nebencharakter. Es gibt nicht einmal einen richtigen, klassischen Antagonisten.
Kameraden treten in Dietz‘ Leben und verlassen es wieder. Feinde werden kaum einmal benannt, bleiben der anonyme Gegner, dessen Namen der Soldat nie erfährt. So ist es im Krieg. Wenn der Feind eine Identität hat, wird die Angelegenheit persönlich. Der Soldat verspürt womöglich Hemmungen, auf den Anderen zu schießen. Also muss man dafür sorgen, dass der Feind ein abstraktes Konstrukt bleibt. Es sind eben die „bösen Marsianer mit ihrem kommunistischen Regime“. Mehr erfährt Dietz nicht, mehr Informationen geben die großen Firmen den Menschen nicht. Mehr erfährt somit auch der Leser nicht, da Dietz nur berichtet, was sie bis zum jeweiligen Zeitpunkt wusste.
Die Autorin bemüht hierbei keine allzu hohe Sprache, keine farbigen Metaphern, keine langen und komplizierten Sätze. Es ist der sachliche Ton eines Menschen, eines Veteranen, der seine Geschichte erzählt. Seinen Kindern vielleicht. Fremden, die er/sie zufällig in einer Taverne traf.
Bei aller Sachlichkeit gelingt es Kameron Hurley dennoch, Emotionen zu transportieren. Es ist Krieg und Krieg ist eine hässliche Sache. Dietz erfährt dies und Dietz leidet für den Leser spürbar an den Wirren des Krieges.
Dietz widerfahren verwirrende Dinge. In jener Zukunft beherrschen die Menschen das lichtschnelle Reisen – im wörtlichen Sinne. Menschen werden in Licht verwandelt, das dann an den Zielort geschickt wird. Nur kommt Dietz nicht immer dort (oder vielmehr dann) an, wo (bzw. wann) sie landen soll. Es ist schwer, als Leser diese Sprünge zeitlich einzuordnen. Dietz fällt es genauso schwer.
Durch den einfachen aber intensiven Stil wird der Leser gleichsam zu Dietz, steckt in ihrem Kopf und erlebt die Dinge tatsächlich durch ihre Augen. „The Light Brigade“ ist eine Geschichte, die ich beinahe aus der Perspektive eines Ego-Shooters erlebte. „Being Dietz“ wäre ein ebenso guter Titel für das Buch wie der von der Autorin gewählte.
Stoff für die Zukunft
Ich bin immer auf der Suche nach Lesestoff. Zwar habe ich noch einige Bücher ungelesen in meinem Regal zu stehen und auf meinem eReader, irgendwann werden aber auch diese Geschichten gelesen sein.
Kameron Hurley ist eindeutig eine Kandidatin, die sich auch in Zukunft unter den von mir gelesenen Autorinnen befinden wird. Wenn „The Light Brigade“ ein Paradebeispiel für Mrs. Hurley ist, wenn dieses Buch typisch für die Art ist, in der die Autorin schreibt, gehören ihre Bücher auf jeden Fall in die Science-Fiction-Abteilung meiner Sammlung.
Aber auch denen, die mit SciFi nicht so viel anfangen können, könnte „The Light Brigade“ interessant sein. Im Gegensatz zu den „üblichen“ Werken kommt all die zukünftige Technologie recht kurz. Sie ist vorhanden, Kameron Hurley macht sich aber nicht die Mühe, sie auch nur im Ansatz zu erklären. Der Fokus liegt auf einer dramatischen Geschichte. All die futuristischen Dinge sind nur Staffage, nur ein Bühnenbild.
Nur einen Wermutstropfen gibt es: Es scheint die Bücher von Mrs. Hurley nicht auf Deutsch zu geben. Zumindest kann ich auf Anhieb keine deutschen Übersetzungen bei einem großen Onlinehändler finden.
Story: | (5,0 / 5) |
Schreibstil: | (4,0 / 5) |
Lesespaß: | (4,0 / 5) |
Durchschnitt: | (4,3 / 5) |