Es ist ein paar Jahre her, dass ich Wolfgang Hohlbein las. 15 Jahre bestimmt. Als ich vor zweieinhalb Wochen ein paar Minuten in der Buchhandlung verbrachte, grinste mich im Krimiregal (?) “Armageddon” an. Ein Krimi von Hohlbein? Hatte ich noch nie in den Händen. Ist einen Versuch wert, dachte ich.
Leider hat sich die Buchhandlung wohl im Regal vertan oder ein Kunde legte das Buch falsch weg. Wenn “Armageddon” etwas nicht ist, dann Kriminalliteratur. Das Ende der Welt, Engel, Dämonen – das Buch fällt eindeutig in das Fantasy-Genre und somit in eine Kategorie, die ich eher mit Wolfgang Hohlbein verbinde.
Das Ende der Welt…
…ist da und es kommt mit einem Knall. Gerade noch sitzt Rebecca Maria oder Beka, wie sie selbst vorzieht, im Flugzeug nach Tel Aviv, weil sie etwas mit ihrem Vater zu klären hat, regt sich wie die meisten Gäste über zwei 6-jährige Zwillinge auf, die schreiend durch den Flieger toben, und flirtet mit dem gutaussehenden Luke, da platzt die Bombe. Die Welt oder zumindest Israel verglüht im nuklearen Feuer.
Beka überlebt die Katastrophe, trifft in den Ruinen Jerusalems auf Überlebende Kinder und Halbwüchsige (die erstmal den armen Luke, der die Bombe auch überlebt hat, um die Ecke bringen) und einen leibhaftigen Engel, unter dessen Schutz die jungen Überlebenden stehen.
Natürlich lebt diese Gemeinschaft nicht friedvoll vor sich hin. Wer Filme oder Serien wie “Walking Dead” oder Bücher wie Stephen Kings “The Stand” kennt oder die “üblichen” Weltuntergangsmythen kennt, weiß, dass es immer irgendeinen Feind gibt. Zombies, Menschen, die dem Teufel folgen, Monster – etwas ist immer. Hier sind es die Zeloten, wenngleich die Kinder um den Engel eher religiösen Eiferern, Zeloten also, gleichen. Und wo Engel sind, sind Dämonen natürlich auch nicht fern.
Ungeachtet dieser Gefahren, entgegen der Warnungen des Engels und der Kinder verfolgt Beka den Plan, die Gemeinschaft so schnell wie möglich zu verlassen. Irgendwann gelingt ihr dies. Aber Entkommen und Überleben sind zwei verschiedene Dinge…
Gemischte Gefühle
Eine kleine Warnung bevor Sie weiterlesen:
Was nun kommt, wird den einen oder anderen Spoiler enthalten. Ich werde wie immer versuchen, nicht zu viel zu verraten, komme aber diesmal nicht umhin, tiefer in das Buch einzutauchen.
Wolfgang Hohlbein ist für mich als Schriftsteller durchaus ambivalent. Er hat richtig starke Bücher aber auch eher schwache. Das ist nicht schlimm. Ein Schriftsteller kann nicht immer einen Blockbuster schreiben. Meine Erfahrungen mit Herrn Hohlbein machten mich aber einerseits neugierig und andererseits vorsichtig.
Leider muss ich zugeben, dass meine Vorsichtig durchaus angebracht war. “Armageddon” ist keins der starken Bücher von Wolfgang Hohlbein.
Die Idee hinter der Story ist nicht neu aber was ist schon neu am Ende der Welt? Der kleine Unterschied ist, dass es am Ende nicht um einen Kampf zwischen Engeln und Dämonen zu gehen scheint. Den Dämonen fehlt der Intellekt. Wenn sie in der Geschichte auftauchen, sind sie nicht mehr als dumme Tiere auf der Suche nach Beute, instinktgesteuert, ohne Verstand. Ein interessantes Konzept mit großen Potential, denn der eigentliche Konflikt muss von jemandem anders gesteuert werden.
Leider wird das Potential zumindest in diesem ersten Teil nicht ausgeschöpft. “Armageddon” liest sich wie das Script zu einem beliebigen Hollywood-Blockbuster: viele Effekte, wenig Story
Es geht mit der Einführung der wichtigsten Figueren los. Beka lernt im Flieger Luke kennen. Luke ist stilvoll in schwarz gekleidet, um die dreißig Jahre jung und athletisch. Bis dahin ist alles gut. Wenn man unter dem locker sitzenden Hemd aber erkennt, “wie perfekt die Muskeln austrainiert waren”, scheint die Geschichte eher von einem hormongesteuerten Teenager zu stammen als von einem Autoren, der schon seit Jahrzehnten im Geschäft ist.
Der aus meiner Sicht junge Luke, so heißt es später, habe tief am Grund seiner Augen etwas Uraltes. Somit wissen wir gleich ganz am Anfang, dass Luke etwas besonderes ist. Aber warum redet der Autor so um den heißen Brei? Und warum stellt sich Luke als Luke Morgenstern – eigentlich Lukas Morgenstern – vor?
Ich testete den Namen im Büro. Eine Kollegin sah nur einen jüdischen Namen darin, nichts besonderes. Der Name funktioniert also manchmal. Mein eigener Gedanke war aber die Hoffnung, dass Luke Morgenstern nicht der sei, von dem ich dachte, dass er es sei. Es wäre zu auffällig, zu viel zu früh verraten. Nicht nur dass der Morgenstern ein recht deutlicher Fingerzeig wäre, aus dem Griechischen stammend heißt Lukas “der ins Licht geborene”. Der Schritt zum Lichtbringer, zu Lucifer, dem Morgenstern, ist da nicht groß.
Über viele Seiten geschieht nicht mehr, als dass der Konflikt zwischen Beka und dem Anführer der Kindergruppe gepflegt wird. Über viele Seiten hinweg pressen Menschen ihre Lippen zu blutleeren Strichen zusammen. Sie könnten zur Abwechslung ihre Lippen auch einfach nur zusammenpressen oder völlig andere Ausdrücke des Unmuts zur Schau stellen. Dieser Konflikt wiederum gipfelt in einem 40seitigen Schlachtengemälde als Zeloten die Kinder angreifen, dass die eigentliche Geschichte nicht voranbringt und lediglich die Tür für die tatsächliche Flucht Bekas öffnet.
Es ist nicht das erste Schlachtengemälde, das ich in einem Buch fand. Die Schlachten um Helms Klamm und Minas Tirith im Herrn der Ringe, die sehr farbenfrohen wenngleich von der Farbe rot dominierten Scharmützel bei R. A. Salvatore (das “Lied von Deneir” hatte einige davon) – in der Fantasy-Literatur sind sie allgegenwärtig.
In den meisten Fällen stellen diese Schlachten aber einen großen Schritt innerhalb der Geschichte dar, ändern die Sicht oder den Status der Protagonistin oder des Protagonisten oder bilden eine Art Grande Finale des Buches. Nicht aber dieses Gefecht. Wo Beka steht, ist von Anfang an klar. Der Anführer der Kinder, Yoram, hat keinen wirklichen Status in der Geschichte, sieht man davon ab, dass er Beka nicht leiden kann. Die kleine Rachel ist bisher nur eine Nervensäge und wird erst nach der Schlacht um Jerusalem etwas bedeutsamer.
Der Angriff der Zeloten auf Jerusalem ist an sich nicht falsch. Der Kampf bildet einen Schnitt in der Geschichte und ist an sich geschickt eingebettet und platziert. In Anbetracht dessen, dass es sich dabei aber nur um eine Art Türöffner handelt, ist der Umfang aber deutlich zu groß, besonders wenn man die finale Schlacht dagegenhält, die hauptsächlich daraus besteht, dass der Aufenthaltsort der Zeloten und Bekas überrannt wird. Der Aufwand in der Beschreibung, der Detailgrad erscheint hier genau verkehrtherum.
Immerhin gewinnt das Buch ab hier etwas an Qualität. Es kommt Bewegung in die Geschichte und die Ereignisse verlaufen konsistent. Allerdings bereitet mir eben diese Bewegung auch Kopfschmerzen.
Ich bin nicht der Mensch, der Details in Geschichte einer zu strengen Prüfung unterzieht. Eine DNA-Analyse innerhalb weniger Stunden? Natürlich ist das Unsinn aber Geschichten müssen hier und da etwas gestrafft werden. Nur deshalb gibt es überlichtschnelle Antriebe. Wäre schon blöd, wenn Luke Skywalker erst nach 25 Jahren am Todesstern eintrifft.
Manche Details kann ich aber nicht ignorieren und Bekas Flucht aus Jerusalem bzw. die Entführung durch die Zeloten erweist sich für mich als problematisch.
Anfangs stellt Yoram fest, man reise nach Osten. Den Gefangenen wurden natürlich die Augen verbunden, der Junge spürt aber die morgendlichen Sonne auf dem Gesicht. Später überquert man den Jordan und landet schließlich in Jericho.
Mir kam das schon etwas seltsam vor, weshalb ich eine Karte konsultierte. Jericho liegt nordöstlich von Jerusalem. Herr Hohlbein hält sich mit Richtungsangaben oder Hinweisen bedeckt. Ich kann also nicht ausschließen, dass die Gruppe nicht noch nach Norden abbog. Das Problem ist, dass Jerusalem und Jericho auf derselben Seite des Jordan liegen, beide Städte liegen westlich des Flusses. Die Fliehenden und ihre Entführer müssen den Jordan also zweimal überqueren – einmal hin, einmal zurück. Noch einfacher ist es den Fluss gar nicht zu überqueren.
Irdische Geografie ist so einfach zu recherchieren. Es ist schade, dass Herr Hohlbein dies nicht tat und die Protagonisten sinnlos über den Jordan schickte. Jericho ist natürlich eine logische Wahl ob der biblichen Geschichte und der Nähe zu Jerusalem. Die Reisezeit gestaltet sich so übersichtlich es sind keine geflügelten Sandalen (wie unbiblisch!), mystischen Portale oder Warp-Antriebe notwendig. Die Fahrt über den Jordan aber passt so überhaupt nicht.
Das Buch liest sich also sehr ambivalent und bleibt sich dessen auch am Ende treu. Da es sich um eine Trilogie handelt oder handeln soll, ist ein Cliffhanger als Abschluss des ersten Bandes natürlich zu erwarten. Als Cliffhanger funktioniert das Ende auch und ich gedenke, zumindest den zweiten Teil noch zu lesen. Vielleicht ist das Gesamtbild ja besser als der Eindruck des Einzelwerkes.
Leider kommt aber auch das Ende nicht ohne Makel daher, bringt es doch einen Plottwist mit, der glatt von M. Night Shyamalan stammen könnte. Die Wendung kommt unvorbereitet, unerklärt, fast als wäre der Twist um des Twists wegen da. Der Autor schuldet mir eine Erklärung für den Twist. Auch deshalb werde ich den zweiten Teil noch lesen.
Für Höchstnoten reicht es aber nicht. Leider.
Story: | (3.0 / 5) |
Stil: | (2.0 / 5) |
Spannung: | (2.9 / 5) |
Average: | (2.6 / 5) |