Ich brauchte lange, zu lange. Fast ein Jahr. Aber das ist mein Fehler, nicht der des Autors. Das Buch ist nicht zu kompliziert geschrieben, es liegt auch nicht daran, dass ich das englische Original las. Ich nahm mir einfach nicht genug Zeit zum Lesen.
Über die Story
Zwanzig Jahre sind seit dem Krieg gegen den Sturmkönig vergangen. Osten Ard befindet sich in relativem Frieden. Doch ein alter Feind regt sich. Die Nornenkönigin ist erwacht und sinnt auf Rache für des Sturmkönigs Tod.
Die Nornen sind jedoch nicht der einzige Feind, der sich erhebt. Die Thrithinge überfallen die Städte des Königreiches, Adelsfamilien befehden sich und es scheint, es gebe sogar Feinde im königlichen Haushalt selbst. Intrigen werden gesponnen, Abgesandte überfallen und die bösen Nornen suchen ein uraltes Artefakt, das ihnen die Macht verleiht, ihre verhassten Verwandten, die Sithi, und die Sterblichen zu überwältigen.
Und als wäre das nicht genug, müssen sich die Hochkönigin und der Hochkönig noch mit der Erziehung ihres Enkelsohnes und Thronerben plagen, der von seinen Pflichten als Prinz nicht viel wissen will und lieber mit Freunden trinkt und sich das Bett von Huren wärmen lässt.
Über das Buch
Wenn ich jetzt noch einmal vorausschicke, das englische Original gelesen zu haben, soll dies nicht meine Sprachkenntnisse unterstreichen. Vielmehr tue ich dies als eine Art vorauseilender Entschuldigung und Bitte um Nachsicht, bin ich doch durch diesen Umstand vielfach in Bezug auf Namen in der originalen englischen Terminologie gefangen. Ich kenne die Namen, die der Autor selbst vergab. Ich versuche, so gut es geht die deutsch übersetzten Namen zu recherchieren und zu benutzen. Bitte sehen Sie mir aber nach, wenn ich hier und da den englischen Namen benutze.
Ich muss zugeben, dass die Hexenholzkrone mein erstes Buch von Tad Williams ist. Ich verspreche aber, dies zu ändern. Tatsächlich habe ich den Otherland-Zyklus bereits gekauft und auf mein Kindle geladen.
Die Hexenholzkrone markiert den Beginn eines Zyklus, des Letzten Königs von Osten Ard, welcher eine Art Fortsetzung des Zyklus um „Das Geheimnis der Großen Schwerter“ ist. Dennoch kann man, und dies finde ich sehr bemerkenswert, die Hexenholzkrone lesen, ohne die alten Bücher zu kennen. Dass die Hexenholzkrone zwanzig Jahre nach dem „Geheimnis der Großen Schwerter“ spielt, mag hier ein helfender Umstand sein. Die Geschichte um den Letzten König von Osten Ard jedenfalls steht vollständig für sich allein. Alles, was man wissen muss, wird im Buch erzählt. Es gibt Referenzen zu den alten Büchern, doch sind diese für den Fortgang der Geschichte nicht von Bedeutung oder werden so erzählt, dass der Leser, der die Vorgeschichte nicht kennt, alle notwendigen Informationen erhält.
Wenn Sie nun fragen, warum Sie das Zweite vor dem Ersten lesen wollen sollten, ist meine Antwort dieselbe, die ich auch bei Twitter gab: Weil es Sie gespannt darauf macht, wie die Geschichte begann.
Als ich das Buch letztes Jahr in Schottland kaufte, war ich mir nicht ganz sicher, ob es eine gute Idee sei, mit dem Letzten König zu beginnen, ohne irgendetwas über Osten Ard zu wissen. Im Nachhinein stellte sich das Buch als der beste Kauf heraus, den ich je in einem Bücherladen tätigte. Und ich bin sicher, dass ich die ersten Osten Ard Bücher auch in meinen Händen halten werde. Davon wird mich nichts abhalten.
Doch sein Sie gewarnt, meine Freunde: Dies ist kein Buch für einen Abend.
Sie werden höchst wahrscheinlich nicht so lange für das Buch benötigen wie ich. 700 Seiten (im Original, die deutsche Übersetzung ist in zwei Bände geteilt) wollen aber gelesen werden. Wer aber einmal seine Nase in die fabelhafte Welt, die Tad Williams mit seinen Worten zeichnet, gesteckt hat, wird von ihr nicht wieder losgelassen. Sie sollten vielleicht Ihre Partnerin/Ihren Partner, Ihre Familie und Ihre Freunde vorwarnen, dass Sie für eine Weile weg sind. Nur damit sich niemand wundert, dass Sie auf Nachrichten auf dem Smartphone und in den sozialen Netzwerken nicht reagieren.
Und vielleicht wollen Sie auch Ihr Auto eine Weile stehen lassen und eine Monatskarte für den öffentlichen Personennahverkehr kaufen, um Zeit zum Lesen zu haben.
Über das Erzählen der Geschichte
Manchmal überkam mich beim Lesen das Gefühl, Tad Williams sei ein Meister des nichts geschehen lassens. Bisher hatte ich dieses Gefühl nur einmal. Ich las damals Marion Zimmer Bradleys „Licht von Atlantis“ und dachte bei jedem Umblättern: „Jetzt passiert es!“ Nichts geschah wirklich bis das Ende kam. Und doch hatte Frau Zimmer Bradley mich gefangen.
Wenn ich dies so sage, meine ich das positiv. Die Geschichte der Hexenholzkrone ist ganz klar ein Anfang. Tad Williams ist ein Stratege, ein Schachspieler, der geduldig seine Figuren platziert und den finalen Schlag vorbereitet, mit dem er seinen Gegner Matt setzt.
Das königliche Paar reist nach Norden, trifft alte Freunde und reist zurück. Die Nornen suchen ein paar alte Knochen und versuchen dann an Drachenblut zu gelangen. Die Thrithinge regen sich, Pläne werden geschmiedet und Gegenpläne gegen die Pläne, von denen niemand wahrhaftig etwas weiß. Figuren werden für die eingeführt, die sie noch nicht kennen – ein Punkt, weshalb man das Buch unabhängig von der alten Serie lesen kann.
Die Hexenholzkrone ist ganz klar Fantasy. Das Buch enthält alles, was ein Fantasy-Buch seit J.R.R. Tolkien ausmacht. Und dann wieder nicht.
Es gibt Elfen, die Sithi und die Nornen. Aber die Elfenvölker sind nicht Tolkiens Lichtgestalten. Die Nornen sind das pure Böse. Und dann irgendwie doch nicht. Die Sithi scheinen kein Interesse (mehr) an den Angelegenheiten anderer Völker zu haben. Mit Ausnahme ihrer dunklen Cousins, der Nornen. Und sie scheinen grimmiger zu sein als Tolkiens Elben.
Es gibt Zwerge. Nun ja, eine Art Zwerge. Die Zwerge werden in Osten Ard Trolle genannt und sind nicht die „normalen“ Zwerge, die man in jeder Fantasygeschichte findet. Ich glaube, auch die Trolle sind grimmige Krieger. Sie sind aber nicht die Schmiede und Steinmetze, als die wir die Zwerge kennen. Sie sind eher naturverbunden und verfügen über eine Art schamanische Magie.
Natürlich gibt es Menschen. Es gibt sogar viele verschiedene Menschen. Es gibt ein Reitervolk (die Thrithinge), das aber weniger wie Tolkiens Rohirrim sondern mehr wie die Mongolen ist. Oder George R.R. Martins Dothraki. Aber selbst das kann man unterschiedlich sehen. Auf jeden Fall sind sie anders als die Reiter Rohans. Es gibt die Rimmersgarder, ein eher wikingerhaftes Volk. Sie erinnern eher an das Volk von Rohan, sind aber keine Pferdemenschen. Einzig Barbaren findet man nicht. Aber die Barbaren hätten wohl ohne Robert E. Howards (trotz der Bezeichnung großartigen) Low Fantasy ohnehin keinen Einzug in das Genre gehalten.
Auf diese Weise zeichnet Herr Williams seine wirklich eigene Welt mir seinen wirklich eigenen Völkern. Er hält sich nicht sklavisch an Genrestandards sondern definiert seine eigenen. Und das unterscheidet – abgesehen davon, dass nicht alle sieben Seiten ein Drachen erschlagen wird und Zauberer ohne ersichtlichen Grund Feuerbälle werfen nur weil sie es können – simple Fantasy von hoher Literatur.
Und ich meine tatsächlich „zeichnen“, denn Herr Tolkien erzählte nicht einfach eine Geschichte und Tad Williams tut es auch nicht. Beide erschaffen das Bild einer Welt, beschreiben diese bis zum letzten Grashalm. Und doch ist da ein Unterschied.
Den Herrn der Ringe zu lesen fiel mir beim ersten Mal schwer. Tolkien beschreibt vor allem am Anfang viel, übermittelt Unmengen an Fakten über Hobbits und die Schattierungen des Grases im Auenland. Und auch er platziert seine Figuren aufmerksam wie ein Schachspieler.
Tad Williams tut dasselbe aber er tut es anders. Er überlässt es dem Leser, das eigentliche Bild zu schaffen. Und er platziert seine Figuren verteilt über das gesamte Buch, während Tolkien dies vor allem am Anfang und später punktuell tut.
Und während Tad Williams dies tut, gibt er der Geschichte Twists und Wendungen, eröffnet Nebenstränge (die sich höchstwahrscheinlich am Ende zusammenfinden werden) und hinterlässt Rätsel.
Er hinterlässt zum einen Rätsel, die ich bereits für gelöst halte. Zumindest glaube ich, das Rätsel um die Zwillinge gelöst zu haben. Die Figuren in der Geschichte wissen natürlich noch nicht so viel wie der aufmerksame Leser. Dann wieder kam ein Plottwist, der mich beschäftigt, den ich nicht erwartete und der später in der Geschichte noch aufgelöst werden muss. Tad Williams stellt seine Geschichte breiter auf als Tolkien. Es ist nicht der einfache Kampf von Gut gegen Böse. Es gibt viel mehr beteiligte Parteien mit viel mehr unterschiedlichen Interessen. Und doch erscheint die Geschichte nicht so komplex und kompliziert wie George Martins „Lied von Eis und Feuer“.
Bei alldem benutzt Herr Williams eine klare und unkomplizierte Sprache. Seine Worte sind einfach zu lesen (wenn man sich die Zeit zum Lesen nimmt) ohne profan zu wirken. Die Worte, die er schreibt und die, die er nicht schreibt, erschaffen eine lebendige Welt im Kopf des Lesers. Ohne dass über die Umgebung viel geschrieben wurde, hatte ich ein deutliches Bild vor meinem inneren Auge, war in Osten Ard selbst.
All das kann nicht anders als ein Meisterwerk genannt werden. Und dieses Meisterwerk hinterlässt in mir das Verlangen nach „Empire of Grass“, der (im Englischen) für Mai 2019 angekündigten Fortsetzung. Ein halbes Jahr Zeit, mehr von Tad Williams zu lesen.
Wenn ich mir nur die Zeit zum Lesen nehme. Aber wie lautet das Motto des Hauses Stark? Der Winter naht. Genug Zeit, im Warmen zu sitzen, eine Tasse Kaffee zu trinken und ein gutes Buch zu lesen.
Story: | (5 / 5) |
Schreibstil: | (5 / 5) |
Lesespaß: | (5 / 5) |
Durchschnitt: | (5 / 5) |