Der Herr des Tals

Wer mich kennt weiß, dass die Hälfte meines Herzen schottisch schlägt. Ein weiters Zehntel schlägt irisch. Das tut aber nichts zur Sache.

Die schottische Hälfte meines Herzen wiederum schlug schneller, als ich beim Stöbern bei einem großen Onlinehändler auf ein eBook stieß, das sich „Monarch of the Glen“ nennt, „Herr des Tals“, und das außerdem von einem meiner Lieblingsschriftsteller stammt: Neil Gaiman.

Ein Titel mit eindeutig schottischem Bezug, eine „American Gods“-Geschichte, ich fackelte nicht lange. Die Geschichte fand sich sofort auf meinem e-Reader wieder.

Die Geschichte

Shadow Moon, derselbe Shadow Moon, der in American Gods die Welt rettete, Sohn des Odin, reist durch die Welt und landet schließlich im Norden Schottlands.

Shadow hat keine Abenteuer im Sinn. Er wandert, sieht sich das Land an, hat kein festes Ziel. Er wäre aber nicht Shadow Moon, wenn das Abenteuer nicht ihn im Sinn hätte. Das Schicksal nämlich erkor ihn aus, sich als Türsteher für eine private Partie anheuern zu lassen – eine besondere Partie mit besonderen Gästen.

Kurz und gut

Der „Herr des Tals“ ist kurz. Sehr kurz. Man wird ihn auch nicht im Buchladen um die Ecke erhalten, bestenfalls als Teil von Neil Gaimans Sammelband „Zerbrechliche Dinge – Geschichten und Wunder“. Einzig in gängigen eBook-Shops fand ich die Geschichte einzeln, allerdings nur auf Englisch.

Die Länge einer Geschichte hat natürlich nichts mit ihrer Güte zu tun und der „Herr des Tals“ ist von hoher Güte. Neil Gaiman erzählt in einem ruhigen, eher sachlichen Ton. Dieser Ton ist der Geschichte angemessen. Sie ist kurz genug und ein Überschwang an Emotionen würde die eigentliche Story in den Hintergrund drängen.

Selbst der fulminante Showdown ist knapp gehalten. Kein bluttriefendes Schlachtengemälde, eine knappe Schilderung. Die Kontrahenten ringen miteinander, hier und da landet jemand einen Wirkungstreffer und am Ende erinnert sich Shadow selbst nicht mehr wirklich daran, was während des Kampfes geschah. Es ist ein Kampf, der mit Stil und Respekt beschrieben wird, ein Kampf, den der Leser erst in seiner eigenen Fantasie gestaltet.

Trotz all der Kürze und Sachlichkeit gelingt es Neil Gaiman trotzdem, Bilder zu schaffen. Schottland ist ein mystisches Land. Die Filmemacher erzeugen im Regelfall ein recht stereotypes Bild von den Schotten aber auch vom Land selbst. Wer einmal in Schottland war, weiß aber, dass das Bild vom Land selbst zumindest in den Highlands stimmt.

Hilfreich beim Erzeugen jener Bilder ist dabei der Umstand, dass der Autor sich mit Ortsangaben zurückhält. Man erfährt, dass jene Party, für die Shadow angeheuert wird, in der Nähe von Cape Wrath stattfindet. Man erfährt außerdem, dass sich der Ort an einem Loch befindet. Den Rest schafft die eigene Fantasie und die Bilder, die man allgemein von Schottland hat. Mr. Gaiman ist ganz offensichtlich im Norden des Landes gewesen. Was er beschreibt, wurde bei mir durch die Dinge erfüllt, die ich selbst dort sah. Aber eine exakte Beschreibung der Örtlichkeit ist mir anhand des Geschriebenen nicht möglich. Ich bekomme nur eine vage Ahnung, aus der sich ein detailliertes Gemälde formt.

Für zwischendurch

Der „Herr des Tals“ ist definitiv eine Empfehlung für Fans von Neil Gaiman und Fans von „American Gods“. Und natürlich für die Menschen, die Schottland im Herzen tragen. Die Geschichte ist ein schöner Wochenendtrip zu einem ebenso realen wie magischen Ort.

Will man die Geschichte alleine haben, ist man auf einen eBook-Reader und Kenntnisse der englischen Sprache angewiesen. Aber selbst ich als Nichtmuttersprachler war innerhalb von 1 oder 2 Stunden durch. Amazon gibt das eBook mit 128 Seiten an. Um eine Zugfahrt zu überbrücken oder einfach nur zwischendurch Lesestoff zu haben, ist das eBook ideal.

Will man mehr, bleibt wohl nur der Griff zum Sammelband. Ich denke, sobald sich die Lage bezüglich Corona ein wenig entspannt, liegt „Zerbrechliche Dinge“ in meinem Bücherregal. Warum erst dann? Weil ich meine Lieblingsbuchhandlung unterstützen will.

Spannung:4.5 out of 5 stars (4,5 / 5)
Spaß:4.5 out of 5 stars (4,5 / 5)
Erzählstil:4.9 out of 5 stars (4,9 / 5)
Durchschnitt:4.6 out of 5 stars (4,6 / 5)
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