Bobby Dollar – Die dunklen Gassen des Himmels

Was macht eigentlich ein gutes Buch aus? Ist es der Schreibstil? Ist es die Spannung? Sind es die Bilder, die der Autor schafft?

Es gibt mit Sicherheit vielen Dinge, die ein Buch gut machen. Zu all den Kleinigkeiten kommt noch hinzu, dass man das Buch lesen kann, und selbst zwei Wochen später noch in der Lage ist, eine Rezension zu schreiben.

Nicht jeder Autor hinterlässt einen solchen Eindruck. Manche Autoren schaffen es zwar, der Eindruck ist aber kein allzu guter. Ein Schriftsteller schafft es aber, mich immer wieder neu zu beeindrucken: Tad Williams.

Ja, ich bin ein Fan. Und Bobby Dollar bestärkt mich in meiner Meinung.

Von Engeln und Dämonen

Bobby Dollar ist Anwalt. Nicht unbedingt Denny Crane aber auch kein schlechter Advokat. Hört man ihn reden, möchtge man meinen, er sei kein Engel. Aber er ist einer. Im wörtlichen Sinn. Und wenn Sie einst tot sind, ist er vielleicht Ihr Verteidiger, wenn es darum geht, ob Sie nach oben oder nach unten kommen.

Wo Engel sind, sind Dämonen natürlich nicht weit. Anderenfalls wäre Bobby wohl arbeitslos, denn die Dämonen vertreten die Anklage und ohne Ankäger bedarf es keiner Anwälte zur Verteidigung.

Soweit, so einfach. Dumm nur, wenn alle zum Gerichtstermin erscheinen – Ankläger, Verteidiger, Richter – der Delinquent der Verhandlung aber fernbleibt. Genau das passiert. Genau das passiert Bobby. Der Himmel ist entsetzt, die Hölle wittert eine Verschwörung des Himmels, der brüchige Frieden zwischen Himmel und Hölle ist in Gefahr und jeder will plötzlich dem armen Bobby ans Leder.

Geschichten über Engel und Teufel und den drohenden (oder sogar schon vollzogenen) Weltuntergang gibt es genug. Manche dieser Geschichten folgen immer demselben Schema, einige sind einzigartig. Bobby Dollar gehört zu den Letzteren.

Warum halte ich die Geschichte von Bobby Dollar für einzigartig?

Zum einen erzählt sie nicht die Geschichte der letzten großen Schlacht zwischen Gut und Böse. Zwischen Himmel und Hölle herrscht ein kalter Krieg. Wie einst zwischen Ost und West steht die Situation ständig auf Messers Schneide und wie damals die Sowjets die Amerikaner und umgekehrt ständig irgendwelcher Missetaten beschuldigten, tun es Himmel und Hölle hier und es liegt an einem Einzelnen, den Tag zu retten – notfalls gegen die Anweisungen der eigenen Seite.

Zum anderen malt Tad Williams ein interessantes Bild vom Himmel. Zwar gibt es auch hier elysische Felder, auf denen die Menschen friedvoll und unheimlich glücklich (oder auf einem dauerhaften LSD-Trip) sind, gleichzeitig herrscht im Himmel aber eine strenge Hierarchie und Bürokratie. Vom Engel Doloriel, so Bobby wahrer himmlischer Name, wird erwartet, dass er seinen Job macht und keine Fragen stellt. Die Toleranzschwelle gegenüber „Mitarbeitern“, die zu viele Fragen stellen, scheint nicht allzu hoch zu liegen. Alles in allem ist der Himmel also zutiefst menschlich. Oder sind wir Menschen zutiefst himmlisch?

In der Hölle wiederum ist jeder vor allem an seinem eigenen Vorteil interessiert. Das verwundert nicht wirklich. Wer würde schon erwarten, dass Teufel und Dämonen an mehr Interesse hätte als dem persönlichen Status und Wohlergehen?

Insofern scheinen Gut und Böse auch hier klar definiert und voneinander abgegrenzt zu sein. Scheinen. Wenn da nicht der kleine und leise Zweifel wäre, der sich in Bobbys Kopf eingenistet hat.

Fantasy, die nicht Fantasy ist

Tad Williams‘ Werke eindeutig einzuordnen ist nicht immer einfach. Eigentlich sind die Bücher, die ich bisher abgesehen von Osten Ard las, gar nicht eindeutig einzuordnen.

Bobby Dollar gibt sich vordergründig als Urban Fantasy. Streift man jedoch dieses Kleid ab und sieht sich die Geschichte selbst an, erinnert sie eher an eine Detektivgeschichte.

Aus der Ego-Perspektive erzählt erscheint Bobby Dollar ein wenig wie einer der Hardboiled Detectives der 1940er oder 1950er Jahre, ein Mann, der seinen Job tut und plötzlich in einen Fall gerät, der die ganze Welt gegen ihn aufbringt. Ein Mann wie Philip Marlowe zum Beispiel. Es gibt sogar eine Femme Fatale, in die sich der Held verliebt.

Gleichzeitig wird der Typus dieser Figur etwas in die Moderne gerückt, indem in einem nicht zu ernsten Ton erzählt wird und Bobby gerne auch mal die Vierte Wand durchbricht, mit dem Leser interagiert, ihn direkt anspricht. Um ehrlich zu sein: Ich hörte beim Lesen die (deutsche Synchron-)Stimme von Thomas Magnum. Der echte Thomas Magnum, Tom Selleck.

Ist Bobby Dollar Fantasy? Wenn ich eine Kategorie wählen soll, kommt die Geschichte diesem Genre äußerlich am nächsten. Eigentlich aber ist die Fantasy nur Fassade.

Der Tolkien des 21. Jahrhunderts?

Die Zeit bezeichnete Tad Williams als den Tolkien des 21. Jahrhunderts, eine Aussage, die ich so nicht mittragen kann. Tolkien ist der Tad Williams des 20. Jahrhunderts.

Wie Tolkien entwirft Tad Williams sehr detaillierte Welten. Genau das macht beide Schriftsteller aus. Hier endet aber die Ähnlichkeit.

Ein gutes Buch zeigt sich dem Leser nicht in Buchstaben sondern in Bildern. Es sind die Bilder, die in der Phantasie des Leser entstehen, die sowohl J. R. R. Tolkiens als auch Tad Williams‘ Geschichten ausmachen, dabei aber auf sehr unterschiedliche Weise erzeugt werden. Während Tolkien seine Welt tatsächlich über Seiten hinweg beschreibt, kommen die Bilder bei Tad Williams zumeist aus dem Geschehen. Er lässt die Informationen einfach in die „Action“ einfließen, was das Lesen deutlich einfacher macht als bei Tolkien.

Dann wiederum lässt sich der Autor doch wieder viel Zeit für die Beschreibung einer einzelnen Situation, verharrt auf der Stelle, erzählt die Geschichte nicht weiter. Ich will an dieser Stelle nicht erzählen, worum es in jenem Augenblick geht. Erstens wäre es ein Spoiler, zweitens könnten Kinder und Jugendliche diesen Beitrag lesen und jener Moment ist nicht jugendfrei. Nur so viel: Es geht um sehr menschliche, körperliche Interaktion mit der Femme Fatale. Sollte Bobby Dollar jemals verfilmt werden, wäre die Stelle wohl für ein R-Rating verantwortlich. Oder für Überstunden des Cutters.

Dabei ist diese Stelle wirklich wunderschön zu lesen, die Wortwahl schon beinahe poetisch. „…die zarte Kathegrale ihres Brustkorbs…“, der leise „Hauch von Blut und Meeresmoschus“ – ich stellte schon einmal Tad Williams‘ einzigartige Wortwahl heraus und ich muss es wieder tun, wenngleich es diesmal weniger um Wortbedeutungen als um ihren Klang und die Bilder geht, die diese Worte in der Phantasie des Lesers hinterlassen.

Aller guten Dinge sind drei

Die dunklen Gassen des Himmels sind nur der Anfang. Bobby Dollar ist eine Trilogie und wieder werden im ersten Teil die Figuren behutsam an ihren Platz manövriert, obschon dies etwas lauter und actionreicher geschieht.

Tad Williams wirft den Leser gleich mitten in die wilde Action hinein, um Bobby Dollar die vierte Wand durchbrechend das Geschehen anhalten und den Leser in einer Rückblende vom Anfang der Geschichte zum Anfang des Buches führen zu lassen.

Die dunklen Gassen des Himmels sind eine Achterbahnfahrt voller augenzwickerndem Humor. Am Ende dieser Fahrt befinden sich dann zwei Dinge: ein Cliffhanger (es ist schließlich eine Trilogie) und ein Versprechen. Das Versprechen, dass es im zweiten Teil erst richtig losgeht. Dass Bobby sauer ist. Dass Bobby die Femme Fatale aus den Klauen des Bösen befreien wird. So romantisch…

Spannung:5 out of 5 stars (5,0 / 5)
Spaß:5 out of 5 stars (5,0 / 5)
Erzählstil:4.9 out of 5 stars (4,9 / 5)
Action:4.9 out of 5 stars (4,9 / 5)
Durchschnitt:5 out of 5 stars (5,0 / 5)
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